Konkrete Visionen einer wünschenswerten Zukunft helfen uns, von einer Problemfokussierung hin zu einer Lösungsorientierung zu wechseln. Werden Visionen gemeinsam erarbeitet, können sie als Kompass für gemeinsame Entwicklungs- und Transformationsprozesse dienen. Wir stellen in diesem Beitrag ein Beispiel aus dem Berner Oberland vor.
Der Stellenwert von Visionen für Nachhaltigkeitstransformationen
Dass wir möglichst schnell unsere Treibhausgasemissionen auf Netto-Null zurückfahren müssen, um katastrophale Folgen des Klimawandels zu vermeiden, ist aus wissenschaftlicher Sicht unbestritten. Weiterhin sehen auch grosse Teile der Bevölkerung im Klimawandel eine grosse gesellschaftliche Bedrohung (vgl. dazu z.B. Daten des Schweizer Umweltpanels von Gomm et al. 2022). Die Vorstellungen darüber, wie eine klimaneutrale Gesellschaft aussehen könnte, und dass eine solche durchaus vereinbar mit hoher Lebensqualität sein kann, bleibt für viele bisher jedoch weiterhin diffus und unsicher. Eine gemeinsame Vorstellung darüber, wohin die Reise gehen und wie der Weg dorthin aussehen könnte, ist aber zentral, um auch ein gemeinsames Verständnis sowie entsprechende Unterstützung für geeignete Massnahmen und Veränderungen zu entwickeln. So wird denn auch dem Erarbeiten gemeinsamer Visionen in der Forschung zu Nachhaltigkeitstransformationen ein grosser Stellenwert eingeräumt: Visionen ermöglichen einen gemeinsamen zukünftigen Bezugspunkt und unterstützen den Aufbau von Kapazitäten und Befähigung, fördern Eigenverantwortung und Verantwortungsübernahme der Beteiligten (vgl. dazu Wiek und Iwaniec, 2014).
Eine Vision einer klimaneutralen Region im Berner Oberland
In einer gerade erschienenen Publikation (siehe unten) stellen wir eine solche Vision vor, wie sie verschiedene Beteiligte in einem partizipativen Prozess für ihre Region – das Berner Oberland-Ost - entwickelt haben. In drei moderierten Workshops haben eingeladene Vertreterinnen und Vertreter von Kanton, Gemeinden und Regionalkonferenz, sowie der Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft zuerst eine Problemanalyse vorgenommen und darauf aufbauend Visionen erarbeitet (Abbildung 1). Entstanden sind so Narrative, wie eine klimaneutrale Region in den Bereichen Wohnen, Mobilität, Konsum und Ernährung, Tourismus, Privat-/Land- und Forstwirtschaft, Energieproduktion sowie Bildung aussehen könnte. Ein Grafiker hat die Narrative anschaulich visualisiert (siehe Abbildung 2).
Abbildung 1: Impressionen von einem der Workshops (Bild: Manu Friedrich)
Dadurch, dass sie von Beteiligten aus der Region entwickelt wurden, gehen die Narrative auf lokale Gegebenheiten ein. So berücksichtigt das Narrativ zur Mobilität zum Beispiel die sehr langen Wege in dieser bergigen Region und damit ein Bedarf zum Ausbau der Elektromobilität, nebst dem Umstieg auf den öffentlichen und Langsamverkehr. Und das Narrativ zu Konsum und Ernährung trägt dem hohen Stellenwert der Viehwirtschaft in der Region Rechnung. Durch das Aufgreifen solch lokaler Gegebenheiten werden die Visionen anschlussfähiger für die Betroffenen, seien es die Bewohner*innen, Gemeindevertreter*innen oder das lokale Gewerbe.
Abbildung 2: Vision einer klimaneutralen Region Oberland-Ost (© Samuel Bucheli, 2022)
Erste Schritte Richtung Umsetzung
Aufbauend auf den Visionen haben die Beteiligten Entwicklungspfade formuliert, das heisst Schritte, die unternommen werden müssten, um vom hier und jetzt Entwicklungen in Richtung der Visionen einzuleiten. Eine erste Erkenntnis aus den gemeinsamen Diskussionen war, dass es in der Region eine koordinierende und vernetzende Stelle bräuchte, die Projekte und Initiativen unterstützen könnte. Seit Anfang Jahr gibt es daher nun bei der Regionalkonferenz eine «Klima Coachin» als Anlaufstelle, welche lokale Initiativen bei der Umsetzung begleitet. Die Visionen und Entwicklungspfade dienen dabei als Kommunikationsgrundlage und Kompass.
Ob und wie das gemeinsame Visionieren nun konkrete Umsetzungen unterstützt, wird sich in Zukunft zeigen müssen. Klar wurde aber, dass das Aushandeln gemeinsamer Visionen hilft, von einer Problem- hin zu einer Lösungsorientierung zu kommen. Es wirkt dadurch motivierend, die grosse Herausforderung eines gesellschaftlichen Umbaus Richtung Klimaneutralität gemeinsam anzupacken.
Weitere Informationen und Unterlagen zum Thema:
Unser Projekt ist eine Kooperation zwischen dem Zentrum für Nachhaltige Entwicklung und Umwelt der Universität Bern, der Wyss Academy for Nature an der Universität Bern und dem Amt für Umwelt und Energie des Kantons Bern in enger Zusammenarbeit mit der Regionalkonferenz Oberland-Ost. Finanziert wird das Projekt zusätzlich durch das Bundesamt für Energie. Unsere Publikation mit den Visionen und Entwicklungspfaden kann auf der Projektwebsite heruntergeladen werden.
Das Projekt orientierte sich am «Transition Management» Ansatz aus der Nachhaltigkeits-Transformationsforschung. Informationen zu diesem Ansatz liefert die folgende Publikation:
Frantzeskaki, N. (2022). Bringing Transition Management to Cities: Building Skills for Transformative Urban Governance. Sustainability, 14(2), 650. Zur Publikation
Einige praktische Tipps zur Umsetzung einzelner Schritte im Rahmen eines Transitions Management Prozesses gibt es hier:
De Vicente Lopez, J. (2016). Visual toolbox for system innovation. A resource book for practitioners to map, analyse and facilitate sustainability transitions. (Transition Hub Series). Climate-KIC. Zur Publikation
Folgende Publikation setzt sich spezifisch mit dem Wert und Ansprüchen an Visionen in Nachhaltigkeitstransformationen auseinander:
Wiek, A., & Iwaniec, D. (2014). Quality criteria for visions and visioning in sustainability science. Sustainability Science, 9(4), 497–512. Zur Publikation
Daten des Schweizer Umweltpanels finden sich hier:
Gomm, S., Quoss, F., Amberg, S., Bruker, J., Linder, J., Maissen, P., Walder, C., Wäger, P., Wehrli, S., & Bernauer, T. (2022). Schweizer Umweltpanel. Siebte Erhebungswelle: Basisbefragung: Befragungszeitraum: Mai 2021 - August 2021 (p. 40 p.) [Application/pdf]. ETH Zurich. Zur Publikation
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