Die Schweizer Landwirtschaft spielt nicht nur eine zentrale Rolle für die Nachhaltigkeit und Gesundheit unserer Gesellschaft, sondern ist die Basis unserer Ernährung. Um die komplexen Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft, Umwelt und Konsumverhalten besser zu verstehen, müssen wir das System tiefgehend analysieren.
In diesem Beitrag werden die Forschungsergebnisse beleuchtet, die zur Entwicklung des Planspiels RELLNACH geführt haben – ein innovatives Projekt des One Planet Lab, das die möglichen Wege in die Zukunft des Ernährungssystems aufzeigt.
Das Schweizer Ernährungssystem
Das Schweizer Ernährungssystem weist zahlreiche Vorteile auf: Es gewährleistet eine zuverlässige Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln, schützt die Bevölkerung vor Hunger, fördert eine vielfältige Ernährung und spielt eine bedeutende Rolle für die Wirtschaft, indem es zahlreiche Arbeitsplätze schafft. Zudem trägt es das wertvolle kulturelle Erbe des Essens und Trinkens. Doch diese positiven Aspekte verdecken oft die erheblichen Herausforderungen, vor denen das System steht.
Übermässige Stickstoff- und Phosphoreinträge
Das Schweizer Ernährungssystem steht vor erheblichen Schwierigkeiten durch übermässige Stickstoff- und Phosphoreinträge. Laut einem Factsheet der Akademien der Wissenschaften[1] gehört die Schweiz mit einem Stickstoffüberschuss von mehr als 97 Tonnen pro Jahr zu den grössten Emittenten Europas. Diese Überschüsse entstehen vor allem durch den Einsatz von mineralischen und hofeigenen Düngern in der Landwirtschaft und belasten Klima, Gewässer, Wälder und Moore stark.
Besonders die Ammoniakemissionen, die zu 93 Prozent aus der Tierhaltung stammen, sind seit 20 Jahren unverändert hoch und liegen etwa 70 Prozent über der Tragfähigkeit der Ökosysteme. Die durch Stickstoffverbindungen wie Ammoniak, Stickoxide, Lachgas und Nitrat verursachten externen Kosten belaufen sich auf jährlich 860 tausend bis 4.3 Millionen CHF, wobei Gesundheitskosten durch Luftverschmutzung den grössten Anteil ausmachen. Auch das Klima, Gewässer, Lebensräume und die Ozonschicht sind betroffen.
Ökosystemdienstleistungen vernachlässigt
Gleichzeitig werden Ökosystemdienstleistungen, die für eine nachhaltige Landwirtschaft essenziell sind, zu wenig berücksichtigt. Ökosystemdienstleistungen sind Dienstleistungen, auf die wir als Menschen angewiesen sind, wie die Schädlingsbekämpfung, Pflanzenbestäubung durch Insekten und die Bereitstellung von Wasser. Die Intensivierung der Landwirtschaft hat jedoch zu erheblichen Schäden an der Umwelt geführt, wie der Bericht «Umweltziele Landwirtschaft» (2016) aufzeigt. Die meisten der für 2008 formulierten Umweltziele wurden bisher nicht erreicht, und die negativen Auswirkungen der Landwirtschaft auf Ökosystemfunktionen sind weiterhin gross. Besonders Biodiversitätsflächen in ausreichender Qualität fehlen, was zum weiteren Rückgang der Artenvielfalt beiträgt.
Zudem werden die zulässigen Emissionsgrenzen massiv überschritten: Die Reduktionsziele für Treibhausgase (-30 Prozent bis 2050) sowie die Ammoniak-Stickstoff-Emissionen (48’000 statt maximal 25’000 Tonnen) werden klar verfehlt, ebenso wie die Grenzwerte für Dieselruss. Auch im Bereich der Gewässerbelastung durch Nitrat, Phosphor und Pestizide überschreiten die tatsächlichen Werte bei Weitem die gesetzlichen Vorgaben, da beispielsweise die Stickstoffeinträge seit 1985 lediglich um 25 Prozent anstatt der notwendigen 50 Prozent gesenkt wurden.
Darüber hinaus ist das Schweizer Ernährungssystem durch den hohen Konsum tierischer Produkte stark von der Nutzung landwirtschaftlicher Flächen im Ausland abhängig. Diese Flächen werden für den Anbau von Futtermitteln und die Produktion von importiertem Fleisch verwendet, stehen aber nicht für den Anbau pflanzlicher Nahrungsmittel für den direkten menschlichen Verzehr zur Verfügung. Dies wirft Fragen der Verteilungsgerechtigkeit auf, da diese Flächen für eine nachhaltigere Ernährung effizienter und gerechter genutzt werden könnten.
Eine Transformation ist nötig
Wenn man das Schweizer Ernährungssystem gesamthaft betrachtet, wird klar: Die negativen Auswirkungen der übermässigen Stickstoff- und Phosphoreinträge könnten beseitigt werden – doch das erfordert tiefgreifende Veränderungen. Das Hauptproblem liegt in den massiven Importen von Futter- und Düngemitteln. Jährlich werden rund 86’000 Tonnen Stickstoff und 12’000 Tonnen Phosphor in die Schweiz eingeführt, was hauptsächlich dem hohen Fleischkonsum und der damit verbundene industriellen Tierhaltung geschuldet ist[2].
Die Importe sind notwendig, weil die Nachfrage nach Fleisch die inländischen Produktionsmöglichkeiten übersteigt. Würde die Schweiz jedoch ihr Ackerland vorwiegend für den Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln nutzen und die Tierbestände auf ein Niveau reduzieren, das mit inländisch produzierten Futtermitteln gedeckt werden kann, könnten viele dieser Probleme behoben werden. Diese Umstellung bedeutete einen grundlegenden Wandel des aktuellen Systems.
Zukunftsszenarien – standortangepasste Landwirtschaft
Lösungsvorschläge sind vorhanden: Eine standortangepasste Landwirtschaft, wie sie in verschiedenen Bundesberichten[3] zur Agrar- und Ernährungspolitik bereits präsentiert wird. Diese sieht eine Landwirtschaft vor, die innerhalb der ökologischen Grenzen operiert und gleichzeitig nachhaltig bleibt. Was hiesse das konkret?
Ackerbau: Der Anbau von Kulturen zur direkten menschlichen Ernährung hat Vorrang. Futterpflanzen wie Kleegras oder Futter-Leguminosen werden nur als Teil einer Fruchtfolge zur Bodengesundheit oder zur Förderung der Biodiversität angebaut.
Verzicht auf synthetische Pflanzenschutzmittel: Ein sorgsamer Umgang mit dem Boden und den Pflanzen ist notwendig.
Tierhaltung: Die Wiederkäuerproduktion (Rinder, Schafe) soll auf Dauergrünland basieren und auf Nebenprodukte der Lebensmittelherstellung zurückgreifen. Auch die Veredlungsproduktion (Schweine, Geflügel) muss sich auf im Inland erzeugte Futtermittel beschränken.
FIBL-Studie zur Zukunft der Landwirtschaft
Die vergleichende Studie Eckpunkte einer standortangepassten Landwirtschaft in der Schweiz des FIBL[4] erforscht das Szenario einer Landwirtschaft und Ernährung innerhalb der Tragfähigkeit der Schweizer Ökosysteme. Die Studie zeigt deutlich auf, wie eine solche standortangepasste Landwirtschaft in der Schweiz aussehen könnte.
Im Bereich Ackerbau würde der Anteil pflanzlicher Lebensmittel von derzeit 40 auf 75 Prozent steigen, während der Futtermittelanbau auf null zurückgefahren würde. Kunstwiesen würden 25 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen einnehmen.
Die Tierbestände müssten drastisch reduziert werden[5]:
- Rinder: 15–45 Prozent weniger (durchschnittlich 28 Prozent)
- Schweine: 75–85 Prozent weniger (durchschnittlich 82 Prozent)
- Geflügel: 30–80 Prozent weniger (durchschnittlich über 60 Prozent)
Auch der Fleischkonsum müsste sinken, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Die FIBL-Studie schlägt vor, den Fleischkonsum um 65–70 Prozent zu reduzieren, was einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von rund 15 Kilogramm entspräche.
Die Transformation
Gemäss den Bundesberichten und der FIBL-Studie ist also ein grundlegender Wandel erforderlich, denn aktuell operieren wir ausserhalb der Ökosystemtragfähigkeit und zerstören diese mittelfristig. Wir sind aber von funktionierenden Ökosystemen elementar abhängig: Ein «Weiter so» führt laut Prognosen nicht nur zu äusserst widrigen Umständen für menschliches Leben, sondern gefährdet gar menschliche Existenz generell.
Die notwendige Umstellung wird in verschiedenen Berichten von Bundesämtern als Ziel postuliert: Man tut also gesellschaftlich gut daran, zu überlegen, wie man diese Umstellung umsetzen könnte, während die Bedürfnisse aller Akteur:innen einbezogen werden. Auch als Akteur:in im Ernährungssystem Schweiz ist es vorteilhaft, sich auf kommende Veränderungen vorzubereiten und die komplexe Transformation aktiv und konstruktiv mitzugestalten.
Das Planspiel RELLNACH
Das One Planet Lab hat zur Behandlung dieser Thematik das Planspiel RELLNACH entwickelt. Mit dem Planspiel wird ein innovativer Ansatz verfolgt, um die vielschichtigen Zusammenhänge der Akteur:innen und Interessen praktisch kennenzulernen und zu simulieren. Durch die Reduktion von Fleischkonsum sowie Phosphor- und Stickstoffeinträgen können wir die Tragfähigkeit unserer Ökosysteme gewährleisten und unsere Nahrungsmittelproduktion sichern. Das Planspiel ermöglicht es, neue politische Steuerungsinstrumente wie Ressourcenbudgets zu testen und deren Auswirkungen auf verschiedene Akteur:innen zu analysieren.
Die partizipative Methode des Planspiels fördert nicht nur das Bewusstsein für nachhaltige, wirtschaftliche Praktiken, sondern bietet auch eine Plattform für den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis. Indem wir die Chancen und Risiken einer Nachhaltigkeitstransformation im Ernährungssystem erforschen, können wir fundierte Entscheidungen treffen und innovative Lösungen entwickeln, die sowohl ökologisch als auch ökonomisch tragfähig sind.
Quellen
[2] Quelle: Agrarumweltindikatoren (AUI, Agroscope/BLW)
[3] Zukünftige Agrarpolitik (BLW, 2022), Klimastrategie Landwirtschaft & Ernährung 2050(BLW/BLV/BAFU, 2023)
[4] Eckpunkte einer standortangepassten Landwirtschaft in der Schweiz (FIBL 2018, ab S. 22)
[5] Eckpunkte einer standortangepassten Landwirtschaft in der Schweiz (FIBL 2018, ab S. 22)
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