Es gibt viele gute technische Lösungen für den Umweltschutz – warum nutzen wir sie nicht?
Massnahmen zur Abwendung der Klimakrise und zum Schutz der Biodiversität lassen sich, grob gesagt, in technologische Ansätze und in Änderungen des menschlichen Verhaltens (Suffizienz) unterteilen.
Bei den technischen Massnahmen steht die Steigerung der Effizienz im Vordergrund: Eine bestimmte Leistung wird mit weniger Energie und Ressourcen erbracht, beispielsweise, indem wir ein Gebäude isolieren und damit weniger Heizenergie brauchen. Hinzu kommt die Konsistenz: Bei ihr geht es darum, eine bestimmte Leistung umweltfreundlicher zu erbringen, also das Gebäude mit erneuerbarer Energie zu heizen statt mit Erdöl. Suffizienz hingegen zielt darauf ab, sich mit weniger Leistung zu begnügen. Um beim Beispiel Wohnen zu bleiben: Wer die Raumtemperatur reduziert oder wer von einer grossen in eine kleinere Wohnung umzieht, senkt gleichzeitig seinen Energiebedarf.
Viele Menschen hoffen, dass wir mit technologischen Ansätzen möglichst alle Umweltprobleme lösen können, denn Verhaltensveränderungen sind mühsam und entsprechend brauchen sie viel Zeit – oft ganze Generationen. Andere wiederum sind überzeugt: Es braucht Verhaltensänderungen, denn mit technischen Ansätzen allein werden wir unsere Ziele nie erreichen.
Was ist nun richtig? Und: wieviel vom einen und wieviel vom anderen braucht es? Eine klare Antwort gibt es nicht, denn letztlich bedingen sich die verschiedenen Ansätze gegenseitig. Klar ist, dass technische Ansätze einen substanziellen Teil zur Problemlösung beitragen können. Ein kürzlich veröffentlichter Report von Rethink, einem amerikanischen Thinktank, sagt beispielsweise, dass sich mit den heute bekannten Technologien über 85 Prozent der notwendigen Treibhausgasreduktionen realisieren lassen. Für 42 Prozent der angestrebten Reduktion befinden sich die Technologien bereits auf dem Markt und für weitere 45 Prozent stehen sie kurz vor der Marktreife. Lediglich für 13 Prozent der Emissionen sei noch vertiefte Forschung notwendig.
Das mag gar optimistisch tönen, aber auch andere Untersuchungen, wie zum Beispiel das Projekt Drawdown, kommen zum Schluss: Wir wissen heute, was wir tun müssen, um die Klimakrise abzuwenden. Und: Technische Lösungen können einen grossen Anteil dazu beitragen.
Doch wenn schon fast alles da ist: Warum nimmt der Ausstoss an Treibhausgas-Emissionen immer noch zu? Warum verbrauchen wir immer noch mehr Energie und Ressourcen? Zwei wichtige Effekte verhindern bis heute, dass die technologischen Ansätze den gewünschten Erfolg bringen: Die Effizienzfalle und der Lock-in-Effekt.
Die Effizienzfalle: Neue Technologien versprechen, effizienter zu sein als herkömmliche: Sie brauchen weniger Energie, weniger Materialien oder weniger Arbeitszeit, um dasselbe Produkt oder dieselbe Dienstleistung bereitzustellen. Wären sie das nicht, könnten sie sich nicht durchsetzen am Markt. Das Resultat? Das Angebot wird billiger und mehr Menschen können es sich leisten. Mehrproduktion und Mehrkonsum machen die Einsparungen an Energie und Material wieder zunichte. Die Umwelt profitiert deshalb weniger als erwartet oder gar nicht von der Effizienzsteigerung.
Was können wir tun gegen die Effizienzfalle? Noch effizienter werden? Das allein wird nicht helfen. Das ist wie Drehen im Hamsterrad. Wir drehen immer schneller statt langsamer. Das Einzige, was funktioniert, ist gleichzeitig auf die Bremse zu treten. Beispielsweise, indem wir die Verfügbarkeit von kritischen Ressourcen künstlich limitieren oder ihren Preis erhöhen. Beides tun wir bereits heute ansatzweise mit dem europäischen Emissionshandel für CO2 oder mit der Schweizer CO2-Abgabe auf Brennstoffe. Eine weitere Möglichkeit sind Ressourcenbudgets, die wir im letzten Blogbeitrag vorgestellt haben.
Der Lock-in-Effekt: Oft ist zu hören, dass die Marktkräfte den Übergang zu neuen Technologien von selbst erledigen, und es werden Beispiele wie der Triumphzug der Smartphones angeführt. Doch bei den Schlüsseltechnologien zur Bewältigung der Klimakrise funktionieren die Marktkräfte nicht, oder zumindest nicht schnell genug.
Schuld daran ist der Lock-in-Effekt. Der Begriff beschreibt die enge Bindung des Kunden an bestimmte Produkte, Dienstleistungen oder Anbieter. Sie erschweren es umzusteigen, weil der Wechsel aufwändig ist und kostet. Wir alle wissen, dass es irgendwo da draussen ein Mobilfunkabonnement gibt, das billiger wäre oder bessere Dienstleistungen böte als dasjenige, das wir aktuell haben – aber jedes Jahr die Preise vergleichen, das bestehende Abo rechtzeitig kündigen, die Nummer portieren lassen und und und … das ist den meisten Menschen zu aufwändig.
Dieselben Mechanismen spielen beim Klimaschutz: Es gibt unzählige Faktoren, die den Umstieg auf neue Technologien verlangsamen und verhindern. Das hat mit Gewohnheit zu tun, mit Bequemlichkeit und oft auch mit den Kosten.
Besonders ausgeprägt ist der Lock-in-Effekt bei den Infrastrukturen, die über Jahrzehnte aufgebaut wurden und noch lange in Betrieb sein könnten. Sie zu verdrängen ist anspruchsvoll. So verfügen wir beispielsweise über ein leistungsfähiges Netz von Tankstellen. Da scheint es wenig attraktiv, parallel dazu ein Ladesystem für Elektroautos aufzubauen, das die Rentabilität des bestehenden Netzes reduziert.
Was können wir tun gegen den Lock-in-Effekt? Wir müssen alte Technologien aktiv über Bord werfen. Ein bisschen Innovations- und Technologieförderung betreiben und warten, bis der Markt es richtet, dauert viel zu lange. Es hilft nur eines: Die politischen Rahmenbedingungen für den Einsatz neuer Technologien müssen verbessert werden. Instrumente dazu gibt es genug. Rechte Politik mag marktwirtschaftliche Anreize bevorzugen – Abgaben auf Emissionen, Zertifikathandel, Steuerrabatte –, linke dagegen Subventionen und Verbote – keine Ölheizungen und keine Benzinmotoren mehr. Lange diskutieren lohnt sich nicht, es wird beides brauchen.
Mein Fazit: Erstens: Viele technologische Lösungen stehen schon lange bereit, aber sie werden zuwenig genutzt. Zweitens: Das grösste Hindernis liegt bei den ungünstigen Rahmenbedingungen. Wir müssen diese ändern, damit die Menschen schneller auf neue Lösungen umstellen.
Im nächsten Blog wird es um die planetaren Grenzen gehen und insbesondere um die Frage, wie man als Einzelperson oder als Unternehmen herausfinden kann, ob man die planetaren Grenzen einhält oder nicht. Er erscheint Anfang Juni.
Mehr zum Thema lesen: Es ist machbar. Warum tun wir es dann nicht? Das Magazin, 9.4.2022
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Bis jetzt erschienen im Rehtink-Blog:
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