Was wäre, wenn mein Unternehmen nicht mehr wachsen würde?
Ziele und Verhalten der meisten Unternehmen sind darauf ausgerichtet zu expandieren. Dies trifft insbesondere auf börsenkotierte Firmen zu, da sie unter dem Druck stehen, für ihre Aktionäre eine möglichst hohe Rendite abzuwerfen. Der Konkurrenzdruck ruft ebenfalls nach Expansion. Damit tragen die Unternehmen zum Wachstum der Wirtschaft bei, gleichzeitig erhöht sich der Druck auf die Umwelt, denn aus globaler Sicht hat Wachstum in der Vergangenheit immer zu einer Zunahme des Ressourcenverbrauchs und der Emissionen geführt (vgl. Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen, Seite 17).
Wachstum ist gut für die Wirtschaft und schlecht für die Umwelt – so einfach ist die Sache jedoch nicht. In einem Workshop, den der WWF im letzten Jahr durchführte, haben sich die Teilnehmenden überlegt, was die Vor- und Nachteile wären, falls ein – oder ihr eigenes – Unternehmen nicht mehr wachsen würde. Dies nicht nur aus Sicht des Unternehmens, sondern auch aus Sicht der Gesellschaft und der Umwelt (siehe Tabelle am Ende des Textes). Viele Punkte sind naheliegend, andere dagegen überraschen.
Ein geringeres Wachstum brächte der Gesellschaft nicht nur die oft erwähnten Nachteile wie die erschwerte Finanzierung der Sozialwerke oder die erschwerte Entwicklung von noch wenig entwickelten Volkswirtschaften. Sie könnte auch profitieren: Dank Entschleunigung gäbe es weniger Stress und weniger stressbedingte Krankheiten. Ebenso müsste die öffentliche Hand weniger Infrastrukturen bereitstellen. Beides verringert die Kosten, die eine Volkswirtschaft zu tragen hat. Ebenfalls interessant: Viele Vorteile, die sich aus sinkender Umweltbelastung ergeben, werden als Vorteile für die Gesellschaft gewertet.
Selbst für ein Unternehmen gibt es eine lange Liste von Vorteilen für den Fall, dass es sich dem Wachstumsdruck entziehen könnte. So kann ein Unternehmen seine Abhängigkeit von knappen Rohstoffen verringern. Fällt zudem der ständige Druck weg, die Kosteneffizienz zu steigern, entsteht mehr Freiheit, sich auf neue Arbeitsfelder und Entwicklungen einzulassen. Der oft befürchtete Nachteil, ein Unternehmen könne sich keine Innovation mehr leisten, wenn es nicht mehr wachse, wird durch diese Aussage relativiert.
Aber geht «weniger wachsen» überhaupt für ein Unternehmen? Stecken wir nicht einfach in der Zwickmühle fest, in der Logik des Marktes? Für kleinere Unternehmen, die unabhängig von Fremdkapital sind und in einem regionalen Markt agieren, ist das zweifellos einfacher als für grosse. Beispiele von Unternehmen, für die das Wachstum nicht im Vordergrund steht, gibt es immer mehr. Anfangs Jahr hat das Online-Magazin Perspective Daily drei von ihnen vorgestellt: AHO.BIO aus Niedersachsen, die Robert Henkel GmbH aus dem süddeutschen Raum und Patagonia aus den USA (der Link zum Beitrag von Perspective Daily).
Schwieriger ist es für international tätige oder börsenkotierte Unternehmen. Doch auch hier gibt es Möglichkeiten – solche, die das Unternehmen selbst ergreifen kann, und solche, die von aussen kommen müssen. Zu den wichtigsten Massnahmen zählen:
Unternehmensintern: Ein Unternehmen ist grundsätzlich frei, seine Unternehmensziele und Geschäftsmodelle verstärkt auf die Einhaltung der planetaren Grenzen auszurichten und gegenüber Ertragszielen gleich oder höher zu gewichten. Hilfreich kann es sein, eine für diese Ziele geeignete Gesellschaftsform zu wählen (zum Beispiel eine Genossenschaft statt eine AG, siehe auch diesen Beitrag zu Rechtsformen für Unternehmen). Weiter kann sich ein Unternehmen auf eine auf langfristige Ziele ausgerichtete Berichterstattung abstützen (statt einem Quartals-Reporting) und die Vergütungssysteme für ihre Angestellten anpassen. Zudem kann es in seiner Buchhaltung freiwillig externe Umweltkosten mitberücksichtigen und ihnen einen Preis geben.
Kapitalgeber: Kredit erteilende Institutionen können für eine Kreditvergabe die Einhaltung gewisser ökologischer oder sozialer Kriterien einfordern (ESG-Kriterien) oder einen Risikozuschlag für potenziell umweltschädliche Geschäftsmodelle erheben.
Gesetzliche Rahmenbedingungen: Veränderte Rahmenbedingungen können ebenfalls bewirken, dass das Erzielen eines möglichst grossen und kurzfristigen Gewinns nicht mehr den alleinigen Unternehmenszweck bildet. Erreichen lässt sich dies zum Beispiel über Eigenkapitalvorschriften. Je grösser das Risiko, das von einem Unternehmen für Klima und Biodiversität ausgeht, desto höher wäre die minimale Eigenkapitalquote.
Mein Fazit:
Erstens: Wer die Wachstumsfrage aufs Tapet bringt, macht sich selten Freunde. Trotzdem lohnt es sich, darüber nachzudenken, denn es gibt auch bei diesem Thema nicht nur Schwarz und Weiss. Zweitens: Sich vom Wachstumsdruck zu lösen, kann einem Unternehmen neue Perspektiven eröffnen.
Im nächsten Blog wird es um die Frage gehen, wie knappe Ressourcen auf einzelne Unternehmen, Staaten oder Einzelpersonen verteilt werden können. Er erscheint Anfang April.
Links: Verschiedene Organisationen unterstützen Unternehmen dabei, ihre Geschäftstätigkeit auf eine positive gesellschaftliche Wirkung und/oder auf die Einhaltung der planetaren Grenzen auszurichten, so https://sens-suisse.ch/, https://de.blab-switzerland.ch/ oder https://www.go-for-impact.ch/science-based-targets-initiative
Tabelle: Was wäre, wenn ein Unternehmen nicht mehr wachsen würde?
| … das Unternehmen | … die Gesellschaft | … die Umwelt |
Vorteile für … |
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Nachteile für … |
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Quelle: Resultate eines WWF-Workshops vom Juni 2021, gekürzt und zusammengefasst
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