«Wir brauchen einen Systemwandel!» Diese Aussage, oder Forderung, taucht im Kampf gegen die Klimakrise und gegen andere Zumutungen unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems immer wieder auf. So gerechtfertigt und nachvollziehbar diese Forderung auch sein mag, so ist sie gleichzeitig naiv. Die Forderung impliziert, dass es ein vorherrschendes System gibt – beispielsweise das kapitalistische –, das wir mit einigen Federstrichen durch ein neues ersetzen könnten. Alles gut vorbereiten und dann den Schalter umkippen, und schon ist das neue System da.
Ich will diese Forderungen nicht ins Lächerliche ziehen, denn ich teile den Grundanspruch: Nur eine Wirtschaft, die in wesentlichen Teilen anders funktioniert als heute, wird es uns ermöglichen, die Klimakrise zu bewältigen und eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen zu bieten. Aber: einfaches Umschalten wird nicht funktionieren.
Es gilt zu überlegen, welche Eigenschaften Systeme auszeichnen, ob und wie sie sich weiter entwickeln lassen und in welchen Teilen sie nicht beeinflussbar sind.
Da stellt sich als Erstes die Frage, in welchem System wir uns heute überhaupt bewegen. Es ist nicht nur ein System, es sind verschiedene, die sich gegenseitig überlagern. In welchem politischen System leben wir hier in der Schweiz? Na klar, in einer Demokratie, würden die meisten antworten. Und bezüglich der Wirtschaftsordnung? In einem kapitalistischen System, wäre hier die bevorzugte Antwort. Doch selbst in der Schweiz, die sich durch eine verhältnismässig freiheitliche Wirtschaftsordnung auszeichnet, ist nicht alles erlaubt, und es gibt gewichtige planwirtschaftliche Elemente wie die Spitalplanung, die Abfallplanung oder die Raumplanung.
Zweitens ist kein System von heute auf morgen entstanden. Vielmehr haben sie sich im Laufe der Jahrhunderte zum heutigen Zustand entwickelt – und sie werden sich weiterentwickeln. Einige wenige Elemente wurden vielleicht bewusst gestaltet, viele hingegen haben sich aus der Konstellation der Umstände ergeben. So senken wir beispielsweise die Steuern von Unternehmen, um sie gegenüber dem Ausland konkurrenzfähig zu machen, und nicht etwa, weil wir «das kapitalistische System» weiter ausbauen wollen. Etwas anders mag es in autokratisch oder diktatorisch geprägten Regimes aussehen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die herrschende Klasse dem Land ihr System überstülpt.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Entwicklung von Systemen läuft in Phasen ab. Es gibt Zeiten, in denen die vorherrschenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme weitgehend stabil bleiben, und Zeiten, in denen sie sich stark verändern. Die Wissenschaft spricht in diesem Fall von gesellschaftlicher Transformation. Dazu zählen beispielsweise die erste und die zweite industrielle Revolution, die zu riesigen gesellschaftlichen Veränderungen geführt haben.
Die Wissenschaft hat viele gesellschaftliche Transformationen untersucht. Wie oben postuliert, kamen diese ungeplant zustande. Trotzdem zeichnen sie sich durch spezifische Merkmale aus. Die Wissenschaft geht deshalb davon aus, dass sich gesellschaftliche Transformationen zwar nicht aktiv steuern, aber bis zu einem gewissen Grad beeinflussen lassen.
Dabei gibt es riesige Hürden. Eine der Wichtigsten: Wesentliche gesellschaftliche Kräfte müssen sich über die Ziele einer angestrebten Transformation einig sein. Das mag bei kleinen Transformationen wie bei der Ablösung von benzinbetriebenen Fahrzeugen durch elektrische möglich sein, bei mittelgrossen wie einer «Energiewende» wird es schon enorm schwierig. Für eine grosse Transformation wie dem Umbau des bestehenden, auf Wachstum und Ressourcenverbrauch basierten Wirtschaftssystems hin zu einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft sind gemeinsame Ziele hingegen kaum vorstellbar. Ziele in diese Richtung gibt es zwar tatsächlich heute schon, nämlich die Sustainable Development Goals (SDG), zu denen sich alle Staaten der UNO bekannt haben. Ihre Verbindlichkeit ist allerdings viel zu gering, als dass daraus ein gemeinsamer Wille und Weg entstehen könnte.
Eine gesellschaftliche Transformation entwickelt sich oft aus einer Krise heraus – aus einer Naturkatastrophe, aus einer durch den Menschen verursachten Umweltkatastrophe, aus einem Krieg oder aus einem politischen Umsturz – oder aus einer bahnbrechenden technologischen Entwicklung. Im Vorhinein kennt man zwar den genauen Zeitpunkt solcher Ereignisse nicht, aber oft liegen sie in der Luft. Deshalb kann man sich bis zu einem gewissen Grad kann auf solche Ereignisse vorbereiten, um im Falle ihres Eintretens neue Lösungen einführen zu können.
Elemente einer solchen Vorbereitung sind:
Das Entwickeln von Visionen und von Narrativen (Wie sieht eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft aus? Was macht sie attraktiv gegenüber dem heutigen System?)
Das Durchführen von Experimenten und Testen im kleinen Rahmen, zum Beispiel zur Sharing-Economy (Unter welchen Bedingungen sind Menschen bereit, Gebraucht- oder Leihgegenstände zu nutzen?)
Das Entwickeln von Technologien (beispielsweise Smartphone-Apps, die Gebrauchtgegenstände vermitteln)
Genau hier sehen wir auch die Rolle des One Planet Lab: Mit dem Vernetzen von Akteuren und mit dem Unterstützen von Testprojekten wollen wir dazu beitragen, dass wir für die nächste grosse Transformation hin zu einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft bereit sind.
Mein Fazit: Erstens: Ein bestehendes Gesellschaftssystem lässt sich nicht aktiv in ein neues transformieren, bisherige grosse gesellschaftliche Veränderungen (Transformationen) erfolgten ungeplant und wurden oft durch eine Krise ausgelöst. Zweitens: Es gibt aber Elemente, die eine Transformation begünstigen und unterstützen können. Dazu zählen eine Vision, Narrative sowie erfolgreich durchgeführte Testprojekte.
Der nächste Blogbeitrag wird im März 2024 erscheinen.
Alle bisherigen Blogbeiträge: https://www.one-planet-lab.ch/blog/categories/rethink-now-1Version_20231113Version_20231113
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