Weltweit reichen immer mehr Menschen oder Organisationen Klimaklagen ein mit dem Ziel, Staaten oder Unternehmen zum Handeln zu zwingen. Laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) gab es in den letzten Jahren 2100 Verfahren. Einige spektakulären Urteile sind bereits gefallen: 2022 verpflichtete das niederländische Distriktgericht Haag den Ölkonzern Shell, die CO2-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent zu senken. In Deutschland hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Ende 2023 die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung in mehreren Punkten als rechtswidrig verurteilt. Die Regierung muss nun Sofortprogramme für mehr Klimaschutz im Verkehr und bei Gebäuden ausarbeiten.
Andere Fälle sind noch hängig. Zum Beispiel der des peruanischen Bauern Saul Lliuya. Er klagte gegen den deutschen Energieversorger RWE, weil dieser mit seiner Kohleförderung besonders stark zum Klimawandel beitrage und damit die Existenzgrundlage des Bauern zerstöre.
Auch die Schweiz ist von solchen Klagen betroffen. Im letzten April verurteilte der europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Schweiz, weil sie zu wenig gegen den Klimawandel tue. Das Urteil führte zu einem grossen medialen und politischen Wehgeheul, einmal mehr sah man die schweizerische Souveränität durch fremde Richter bedroht.
Doch diese Urteile sind nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen. Sie sind das Abbild der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre. Oft vollziehen sie nur das nach, was sich im Alltag an Gedankengut bereits etabliert hat, zumindest bei einem Teil der Bevölkerung. Ähnliches passierte bei der Abschaffung der Sklaverei, mit dem Stimmrecht für Frauen oder mit dem Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe. Ihnen allen ging ein langer politischer Kampf voraus.
Ungeachtet des Missfallens gegenüber diesen Urteilen wird die Entwicklung in der Rechtsetzung und -sprechung weitergehen. Seit einigen Jahren im Trend: Nicht nur Tiere, sondern auch Flüsse, Berge und Wälder haben eigene Rechtspersönlichkeiten erhalten. Damit können sie ihre Rechte vor Gericht einklagen.
Die entscheidende Frage dabei: Wer vertritt die Natur vor Gericht? In Neuseeland haben die Gerichte 2017 entschieden, dass der Whanganui-Fluss ein eigenes Wesen ist und dass die Maori und die neuseeländische Regierung gemeinsam die Rechtsvertretung übernehmen. In Ecuador können alle Bürger:innen im Namen der Natur vor Gericht ziehen. Damit wurden 2021 Pläne zum Kupfer- und Goldabbau gestoppt. Zudem entschieden sich die Ecuadorianer:innen 2023 für ein Ende der Erdölförderung in Naturschutzgebieten.
Der Trend ist unterdessen in der westlichen Welt angekommen: In Spanien hat das Mar Menor, eine Salzwasserlagune nahe der Stadt Murcia, im Jahr 2022 eigene Rechte erhalten. Das Leben in der Lagune ist bedroht, weil zuviel Süsswasser mit einem sehr hohen Nitratgehalt von den angrenzenden Gemüse- und Zitrusplantagen in die Lagune fliesst. Drei verschiedene Kommissionen übernahmen die Vormundschaft; sie können klagen und die Einhaltung der Rechte des Mar Menor einfordern. Ob und wie das genau funktioniert, wird sich erst zeigen müssen.
In der Schweiz spricht man kaum von eigenen Rechten für Berge, Seen oder Wälder. Dafür besteht mit dem Verbandsbeschwerderecht ein mächtiges Instrument, mit dem die Einhaltung von Gesetzen zum Schutz von Umwelt und Natur eingefordert werden kann. Umweltverbände wie der WWF dürfen für die Natur Partei ergreifen. Wichtig zu verstehen ist dabei: Das Verbandsbeschwerderecht ist kein Sonderrecht, das einzelnen Verbänden die Macht gibt, Mehrheitsentscheide von Parlamenten oder des Volkes zu kippen. Es erlaubt lediglich, die Gerichte anzurufen, damit diese überprüfen, ob geltendes Umweltrecht eingehalten wird oder nicht.
Man mag die Diskussion um Rechte für die Natur belächeln. Sie zeigen jedoch, dass sich unser Verständnis gegenüber der Natur wandelt – weg von einem rein mensch-zentrierten Bild hin zu einem, das die Natur als gleichwertig einstuft. Dies belegte das Gottlieb Duttweiler Institut GDI im Frühjahr 2024 mit einer Umfrage. Darin sahen nur 13 Prozent der Befragten die Menschen an der Spitze einer natürlichen Hierarchie stehen, weil der Mensch allen anderen Lebewesen überlegen sei. Dagegen verstanden sich rund 63 Prozent als Teil einer natürlichen Gemeinschaft, der sie wie alle anderen Lebewesen angehören. Fast 80 Prozent der Befragten waren zudem der Meinung, dass Pflanzen und Tiere grundsätzlich dasselbe Recht auf Existenz haben wie Menschen.
Mein Fazit
Erstens: Der weltweite Druck auf Umwelt und Natur mag hoch bleiben, dafür verbessern sich die rechtlichen Grundlagen für ihren Schutz zunehmend. Zweitens: Möglich ist das nur, weil sich unser Verständnis für und unsere Einstellung gegenüber der Natur ändert.
Das sind doch Good-News für den Schutz von Umwelt und Natur!
Lesehinweise
Süddeutsche Zeitung: Der Fluss, der gegen seine Verschmutzung klagt
Deutschlandfunk: Wenn Flüsse, Seen und Tiere auf einmal klagen können
GDI-Studie: Das Zeitalter der Biologie
Der nächste Rethink-Blogbeitrag erscheint im Januar 2025.
Alle bisherigen Blogbeiträge hier.
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