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Wie kommunizieren wir über etwas, das niemand hören will?

Autorenbild: Ion KaragounisIon Karagounis

Kürzlich erschrak ich, als ich in einem Newsletter las, was es für jeden von uns bedeutete, die planetaren Grenzen einzuhalten. Bevor ich zu den Details komme, muss ich ausholen:

Das Konzept der planetaren Grenzen hat sich seit seiner Lancierung im Jahr 2009 in weiten Kreisen etabliert. Es macht recht zuverlässige Aussagen darüber, welche Belastungen unsere Erde aushalten kann, damit langfristig genügend Ressourcen für unser Leben zur Verfügung stehen. Ebenso lässt sich abschätzen, wie viele schädliche Emissionen in Zukunft noch zulässig sein werden.


Das Konzept basiert auf neun verschiedenen kritischen Parametern, unter anderem auf der Landnutzung, auf dem Ozonabbau oder auf der Integrität der Biosphäre (siehe hier). Der Forschung ist es gelungen, die meisten dieser Parameter mehr oder weniger genau zu quantifizieren. Beim Klima beispielsweise wissen wir schon lange, wie viel CO2 wir als Menschheit noch ausstossen dürfen.


Das Konzept überzeugt auch in seiner graphischen Darstellung: Ein kreisförmiges Abbild der Erde symbolisiert die Grenzen, das Überschreiten der Grenzen wird durch rote Kreissektoren dargestellt, die über die Erde hinausragen (siehe in der Grafik unten). Entsprechend verwenden wir das Konzept seit mehreren Jahren auch beim WWF Schweiz und treten dafür ein, dass sich Wirtschaft und Gesellschaft in eine Richtung entwickeln, in der sie die Grenzen langfristig einhalten.


Azote für das Stockholm Resilience Centre, basierend auf der Analyse von Richardson et al. 2023
Azote für das Stockholm Resilience Centre, basierend auf der Analyse von Richardson et al. 2023

Jetzt aber zu dem, was ich im Newsletter «Planet Plüss» des Magazin-Journalisten Matthias Plüss las (Link zum Newsletter, nur für Abonnent:innen Tamedia zugänglich). Basierend auf einer von der Empa veröffentlichten Studie und weiteren Datenquellen listete er auf, wie stark wir unseren Konsum reduzieren müssen, um innerhalb der planetaren Grenzen leben zu können. Da steht unter anderem:


  • Kleider und Schuhe: Für ein gutes Leben reichen zweieinhalb Kilo neue Kleider und ein Paar neue Schuhe pro Jahr. In der Schweiz liegen wir aktuell bei etwa 15 Kilo Kleidern und sechs Paar Schuhen. Wir müssten also um einen Faktor sechs runter.


  • Wasser: 21 Kubikmeter pro Person und Jahr würden für ein gutes Leben reichen. Wir verbrauchen fast dreimal soviel, nämlich 60 Kubik. Und das ist nur der direkte Konsum – nicht eingerechnet ist die noch viel grössere Wassermenge, die durch unsere Lebensweise in anderen Ländern verbraucht wird.


  • Wohnfläche: Wir müssten uns mit einem Drittel begnügen. Aktuell liegen wir bei gut 46 Quadratmeter pro Person – angemessen wären 15. Das scheint wenig zu sein, doch man bedenke: Unsere Wohnfläche hat sich massiv ausgeweitet. Noch 1980 waren es bloss 34 Quadratmeter pro Kopf gewesen. In Tokio kommen die Menschen sogar mit 20 Quadratmetern aus. Und auch dort lebt man gut.»


Weitere Zahlen gibt es zum Essen, zum Energieverbrauch oder zur Mobilität. Reduzierten wir unseren Konsum um einen Faktor 1.5 bis 6, je nach Bereich, bliebe uns immer noch ein «gutes Leben», bei dem die negativen Auswirkungen auf die Ökosysteme in etwa halbiert würden. Mit weiteren, teils einschneidenden Massnahmen beim Energieverbrauch, bei den Treibhausgasemissionen und beim Stickstoffausstoss könnten die planetaren Grenzen eingehalten werden.


Kleiderstange
Für ein gutes Leben reichen zweieinhalb Kilo neue Kleider und ein Paar neue Schuhe pro Jahr.

Wie eingangs erwähnt, erschrak ich, als ich diese Zahlen las. Aus wissenschaftlicher Sicht ist wenig an ihnen auszusetzen, sie sind nun mal die harte Realität. Ebenso zweifle ich nicht an den Zielen, die die planetaren Grenzen mit sich bringen. Mein Punkt ist ein anderer: Ich halte diese Zahlen in dieser Form für nicht kommunizierbar, für nicht «gesellschaftsfähig». Wer sich mit solchen Zahlen in die öffentliche Diskussion ausserhalb der Umwelt-Bubble begibt und ein entsprechendes Handeln einfordert, muss sich nicht wundern, wenn er den Zorn der Menschen auf sich zieht und als Extremist abgekanzelt wird.


Denn es geht hier nicht um minus zehn Prozent oder minus ein Drittel, sondern um runter auf ein Drittel oder gar runter auf zehn Prozent. Natürlich kann jede:r von uns mit zweieinhalb Kilogramm statt fünfzehn Kilogramm neuen Kleidern auskommen, ebenso mit nur einem Paar statt sechs Paar neuen Schuhen pro Jahr. Schwierig wird es bei der Wohnfläche: Wie kommen wir hier zum Ziel, wo doch schon alles gebaut ist? Unsere Häuser abbrechen? Oder sollen plötzlich dreimal so viele Menschen in unseren Häusern und damit in der Schweiz leben?


Diese Zahlen und die notwendigen Konsequenzen bewegen sich weit ausserhalb unseres Erfahrungs- und Vorstellungshorizonts. Hinweise wie «Menschen im globalen Süden kommen auch damit aus» oder «vor hundert Jahren hatten wir auch nicht mehr und trotzdem ein gutes Leben» nützen da wenig. Die wenigsten Menschen werden sich freiwillig und mit Freude auf einen Weg machen, der ihren materiellen Lebensstandard auf ein Drittel oder noch weniger reduziert. Denn es fehlt eben auch an der Vorstellungskraft und vor allem an der konkreten Erfahrung, was passieren wird, wenn sich die Erde um drei oder noch mehr Grade erwärmen und damit teilweise unbewohnbar würde.


Die grosse Herausforderung ist somit: Wie können wir in der Öffentlichkeit über die planetaren Grenzen und ihre Auswirkungen auf unser Alltagsleben diskutieren, ohne die Menschen vor den Kopf zu stossen? So lange wir von den planetaren Grenzen als theoretischem, übergeordneten Konzept sprechen, mag das gut möglich sein. Ungleich herausfordernder ist die Frage, wie wir über die Konsequenzen im Alltag sprechen. Dafür fehlt mir im Moment eine befriedigende Antwort.

Für einmal schliesse ich deshalb meinen Blog nicht mit einem Fazit, sondern mit einer

Frage an Sie, liebe Leser:innen: Wie können wir über diese Zielwerte kommunizieren, ohne die Menschen sogleich gegen uns aufzubringen?


Das One-Plane-Lab-Team freut sich über eure Kommentare und Ideen.

Rethink Serie von Ion Karagounis, Verantwortlicher für neue Wirtschaftsmodelle und Zukunftsfragen beim WWF Schweiz und One Planet Lab Projektteam

Der nächste Blogbeitrag erscheint im März 2025.


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